Juzi und OM10 sind wie viele andere Orte auch politische Freiräume, in denen versucht wird, mehr Solidarität zu leben. Wenn wir von Freiraum reden meinen wir: besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte, Wagenburgen und selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentren.

Wir sind sehr froh, dass es in Göttingen einen selbstverwalteten Ort gibt, in dem Geflüchtete willkommen sind, egal aus welchem Land er oder sie kommt und egal welchen Aufenthaltsstatus der Staat vergeben hat. Als radikale Linke gefällt uns an der OM10 besonders, dass hier Menschen zusammen handeln, dass also nicht alles feststeht oder von einer Leitungsgruppe bestimmt wird. Hier wird nicht Wohltätigkeit für die Geflüchtete ausgeübt, sondern Geflüchtete und andere solidarische Menschen überlegen zusammen, welches Angebot es geben soll.

Solche Freiräume sind extrem wichtig, um wenigstens zu versuchen, sich der Diskriminierung und Verwertungslogik entgegen zu stellen und ein solidarisches Zusammenleben möglich zu machen. In Freiräumen können wir Erfahrungen machen, wie wir uns selbst organisieren und wie wir Leben gemeinsam mit anderen auf die Beine stellen können, um aus der Vereinzelung und Isolation in der bestehenden Gesellschaft auszubrechen. Nichtkommerzielle Kneipen, Soliküchen und Umsonstläden bieten Alternativen zum allgegenwärtigen Konsumzwang und erlauben es auch Menschen ohne viel Geld, sich Bedürfnisse wenigstens teilweise zu erfüllen.

Um die Freiräume in ihrer Vielfalt plastisch zu machen, werden hier gerade kleine Aufkleber verteilt, die einzelne Aspekte von Freiräumen zeigen. Wenn ihr sie nebeneinander klebt, könnt ihr daraus selber Freiräume entwickeln und ganze Häuser bauen, indem ihr euch zusammen tut mit dem was ihr habt.

Orte des Widerstandes werden immer wieder in Frage gestellt und angegriffen. Hier möchten wir nur ganz kurz einige Beispiele für Angriffe auf unabhängige Freiräume benennen: Gerade vor zwei Tagen haben Menschen hier in Göttingen ein seit 20 Jahren leerstehendes vierstöckiges Wohnhaus in der Gartenstraße kurzzeitig besetzt. Sie wurden auf Verlangen der Besitzerin am gleichen Tag von der Polizei vom Gelände vertrieben.

In anderen Städten hat es in den letzten Monaten massive Angriffe auf Freiräume gegeben: In Frankfurt ist das Projekt Shelter mehrfach durch Polizeiangriffe mit dem Versuch gescheitert, ähnlich wie die OM10, gemeinsam mit Geflüchteten ein soziales Zentrum zu schaffen und Leerstände zu skandalisieren. Mitte Januar wurde das selbstverwaltete Wohnprojekt in der Rigaer 94 in Berlin von über 500 Polizist*innen unter einem fadenscheinigen Vorwand gestürmt und teilweise zerstört. Anfang Februar wurde die seit zweieinhalb Jahren besetzte Luftschlossfabrik in Flensburg erst brutal geräumt und dann dem Erdboden gleichgemacht. Mitte Februar wurde das Unabhängige Jugendzentrum Kornstraße in Hannover auf der Suche nach angeblichen Terrorist*innen der PKK von mehreren Hundertschaften der Polizei überfallen.

Gerade in Zeiten, in denen menschenverachtende und unterdrückerische Ideologien Aufwind haben, sind linke Freiräume umso wichtiger. Diese sind wichtige Orte zum gemeinsam Denken, Diskutieren, Planen und den Wahnsinn kurz Vergessen.

Selbstbestimmte Freiräume wurden von den Herrschenden schon immer als gefährlich, widerständig und das System destabilisierend erkannt und sind seit ihrem Bestehen staatlicher Repression ausgesetzt. Doch nur hier können wir ausprobieren, weiterentwickeln und Strategien entwerfen. Das hier Erlebte kann Impuls für all jene sein, die nach Alternativen suchen – denn ohne Alternativen denken zu können, ist sozialer Wandel nicht möglich. Dass uns dieser Staat solche Räume weder schenkt noch freiwillig überlässt, bedeutet, dass wir immer wieder um den Erhalt und Ausbau kämpfen müssen. Und so sind Freiräume nicht nur die Basis politischer, sondern zugleich auch Ergebnis erfolgreicher Kämpfe.

Ein Staat, der Menschen klassifiziert und “Unerwünschte” gewaltsam aussperrt, einsperrt und abschiebt, schafft eine Ordnung, die wir bekämpfen müssen. Wir sind die Feinde all derer, die im Namen der Demokratie und der Nation über Menschen reden wie über willenlose Ware, die hierhin und dorthin geschoben werden kann. Wir sind die Feinde derjenigen, die mit Knüppel und Faust dem rassistischen Hass-Bürger dienen, wie es unter anderem in Freital und Clauswitz zu sehen war. Wir stellen damit natürlich diese gesamte Gesellschaft in Frage und leben nicht in der Illusion, dass alles so bleiben kann, wie es ist.

Linke Freiräume dienen auch als Rückzugsraum, der uns einen gewissen Schutz vor rassistischen, sexistischen und faschistischen Verhaltensweisen bieten soll. Sie sind Orte, an denen wir uns auch mal sammeln und ausruhen können.

Linke Räume sind aber auch immer in Gefahr, zur Nische und zum Teil der eigenen Lebenslüge zu werden. Wenn sich der eigene Anspruch, ein politischer Mensch zu sein, nur noch in der abendlichen Flasche Bier in der linken Kneipe manifestiert oder wenn der einzige Zweck des linken Zentrums der ist, die Widersprüche im eigenen Leben zu kaschieren und das Individuum wieder fit für die kapitalistische Verwertungsmaschinerie zu machen, dann wird der vermeintliche Freiraum zum Teil der staatlichen Arbeitskonditionierung.

Als Juzi müssen wir selbstkritisch und noch recht ratlos zugeben, dass wir noch keinen Weg gefunden haben, Geflüchtete zu einem Teil des Juzi werden zu lassen. Sprachgrenzen sind da noch das kleinste Hindernis – unsere kollektive, komplizierte und oft langwierige Herangehensweise macht es für Geflüchtete sehr schwer, sich in linken Freiräumen einzubringen.

Revolution ist nichts, was in ferner Zukunft passiert, sondern Revolution wird von uns jeden Tag ein bisschen gemacht. In unserem Leben, in den verschiedenen Freiräumen, in unseren Herzen, mit unserem Handeln und der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem herrschenden System.

Wir erklären uns mit den Geflüchteten und der OM10 solidarisch:
Kein Mensch ist illegal!
Abschiebestopp und Schaffung von sicheren Passagen!
Unterstützung von Freiräumen von und mit Geflüchteten!
Widerstand ist möglich
Linke Zentren erkämpfen und verteidigen.