Aus Göttingen sollen zwei Roma-Familien abgeschoben werden, die seit über 10 Jahren hier leben. Die meisten Menschen in diesen Familien sind Kinder und Jugendliche, die mehrheitlich in Deutschland geboren bzw. hauptsächlich hier aufgewachsen sind. Sie kennen den Kosovo nicht, sprechen die Sprache nicht und haben dort auch keine Bezüge zu Freundinnen und Freunden.
Die Möglichkeiten, die Abschiebung zu verhindern oder auszusetzen, sind nun angeblich juristisch ausgereizt, so dass sich unter anderen der Göttinger Oberbürgermeister Köhler außerstande sieht, noch etwas für die Betroffenen zu unternehmen. Mit seiner Weigerung, überhaupt weiter darüber nachzudenken, welche Chancen zur Wiedereinsetzung der Menschenrechte bestehen könnten, verhält sich Köhler als bloßer Bürokrat im widerlichsten Sinne des Wortes: Er stellt Legalität und Verwaltungshandeln über alles andere, auch wenn sich dieses als menschenverachtend erweist.
Menschenrechte allerdings gelten immer und für alle – sie sind Teil des Menschseins und daher dem Gesetz übergeordnet. Die zentralen Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, ein gutes Leben und freie Wahl des Wohnortes (Freizügigkeit) werden den Roma jedoch verweigert. Ihnen wird der notwendige Schutz entzogen, indem sie trotz rassistischer Gefährdung und null Chancen in den Kosovo abgeschoben werden sollen.
Eigentlich ist es nicht unser Selbstverständnis, bürgerliche Parteien daran zu erinnern, sich wenigstens an ihre eigenen bürgerlichen Regeln zu halten. Das ist ja wohl das Allermindeste! In Anbetracht der gnadenlosen Verachtung, die in der drohenden Abschiebung der Roma-Familien zum Ausdruck kommt, betonen wir auch mit Blick auf die deutsche NS-Geschichte, dass es Situationen gibt, in denen Gesetze zwar geltendes Recht sind, aber ethischen und menschlichen Grundsätzen zuwider laufen. Das sind Situationen die Mut verlangen – ja, auch und gerade von Staatsvertreter*innen – diese Gesetze zu dehnen oder sogar zu übertreten. Situationen, in denen die Gesetze sonst Menschen ausgrenzen, ihrer Lebensgrundlagen berauben oder in Lebensgefahr bringen.
Ein Bürgermeister, Mensch und Inhaber eines deutschen Passes hat immer Handlungsmöglichkeiten. Als Politiker kann er den menschenverachtenden Umgang mit Roma zumindest skandalisieren – gerade in Anbetracht der Ermordung von Sinti und Roma in der NS-Zeit. Ebenso sollten Köhler und die Parteien sich mit dem rassistischen Abstammungsrecht in Deutschland kritisch auseinander setzen statt nur darauf hinzuweisen, dass in Brasilien und den USA jeder Mensch die Staatsbürgerschaft des Geburtslandes bekommt. Wäre dies in Deutschland ebenso, hätten die Kinder der Roma-Familien zumindest die Chance gehabt, sich eine sichere Existenz, Schullaufbahn und Berufsausübung aufzubauen. Eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes weg von der Abstammungsideologie ist seit langem überfällig, aber bislang im Bundestag verhindert worden.
Menschenrechte machen Sinn, wenn sie unveräußerlich sind und für alle gelten – egal was im Pass steht, egal was das Ausländergesetz sagt und auch unabhängig davon, ob ein Mensch sympathisch, “integriert” oder Oberbürgermeister ist.
Wir rufen Politiker*innen, Mitarbeiter*innen der Stadt und alle Menschen in der Zivilgesellschaft zum Einsatz für Menschenrechte auf: jede/r kann Nachbar*in sein, Unterstützung anbieten, und helfen statt sich wie Herr Köhler aus der Verantwortung zu ziehen und so zur Verwaltung der Unmenschlichkeit beizutragen.
Kein Mensch ist illegal! Juzi (Februar 2016)