Die Demo fand nicht ganz zufällig am Tag des 25-Jahre-Juzi-Festivals statt.
Das neoliberale Wirtschaftssystem ist neben Individualisierung und Konkurrenzdenken auch auf Normierung und Verfügbarkeit des Individuums angewiesen. Nur in eine Schablone gepresste und damit jederzeit austauschbare Menschen taugen als reibungslose Zahnräder im Wirtschaftsgefüge und sind als ArbeiterInnen oder KonsumentInnen bestmöglich verwertbar. Während die Profite der großen Konzerne immer weiter steigen, werden Systeme wie Hartz IV mit einem angeblich vorhandenen, wirtschaftlichem Druck legitimiert. Die im Zuge von ALG I und II erhobenen Daten schreiben dabei ganz offen einen bestimmten Lebensstil vor, der weder Wohngemeinschaften noch andere kollektiven Strukturen akzeptiert. Die subtilen Mechanismen der Kontrolle und Konditionierung wirken dabei weit über den Bereich des eigentlichen Arbeitslosengeldes hinaus. Die geschürten Unsicherheiten zwingen Menschen in immer unerträglichere Arbeitsverhältnisse, in denen für weniger Geld mehr gearbeitet werden muss. Auch zu viele SchülerInnen ordnen sich angesichts der Perspektive Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen gesellschaftlichen Ächtung einem diktatorischem Schulsystem unter, statt mit Widerstand aufzufallen. Wer seine Handlungspielräume nutzt, sich anzupassen und den Herrschenden in den Arsch zu kriechen, wird letztendlich vielleicht mit einem Job belohnt.
Aber auch in anderen Bereichen wird von staatlicher Seite eine ganz eigene Interpretation von Freiheit vertreten.
Natürlich gibt es das Recht zu Streiken. Wenn es denn sein muss. Aber bitte nicht in der Urlaubszeit und nur so, dass niemand etwas merkt.
Natürlich ist Deutschland offen für MigrantInnen, sofern sie eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und von der Wirtschaft auch gebraucht werden.
Und selbst Demonstrationen sind den Herrschenden willkommen. Es dürfen nur nicht mehr als 20 Personen sein, die sich namentlich registrieren lassen und hübsch nach oben lächeln, wenn die Tornados fotografieren.
Und Jugendzentren? Aber selbstverständlich. Am besten gleich mit integriertem Büro der Agentur für Arbeit und SozialarbeiterInnen die zusammen mit Bullen, Staatsanwaltschaft und LehrerInnen überlegen was das beste für die Jugendlichen ist.
Wenn wir von Freiraum reden meinen wir aber etwas anderes: Besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte, Wagenburgen, Frauen/Lesben-Zentren und selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentren sind Orte an denen wir versuchen so zu leben wie wir wollen. Hier experimentieren wir damit, was es heißt, den Wunsch eines herrschaftsfreien, solidarischen Miteinanders umzusetzen und aus der Vereinzelung und Isolation in der bestehenden Gesellschaft auszubrechen. Nichtkommerzielle Kneipen, Volxküchen und Umsonstläden bieten eine Alternative zum allgegenwärtigen Konsumzwang und erlauben es auch Menschen ohne viel Kohle, sich bestimmte Bedürfnisse wenigstens teilweise zu erfüllen.
Und selbstverständlich dienen linke Freiräume auch als Rückzugsraum, der uns einen gewissen Schutz vor rassistischen, sexistischen und faschistischen Verhaltensweisen bieten soll. Sie sind Orte an denen wir uns sammeln und ausruhen können.
Linke Räume drohen dadurch aber auch immer zur Nische, und zum Teil der eigenen Lebenslüge zu werden. Wenn sich der eigene Anspruch, ein politischer Mensch zu sein, nur noch in der abendlichen Flasche Bier in der linken Kneipe manifestiert und wenn der einzige Zweck des linken Zentrums der ist, die Widersprüche im eigenen Leben zu kaschieren und das Individuum wieder fitt für die kapitalistische Verwertungsmaschinerie zu machen, dann ist der vermeindliche Freiraum längst Teil der staatlichen Arbeitskonditionierung geworden.
Wir wollen aber mehr als das: Statt nur private Nischen zu sein probieren wir in unseren Freiräumen Alternativen aus! Wir wollen sie nutzen, um zu zeigen, dass es auch anders geht und erproben in welcher Form das möglich ist.
Natürlich stoßen wir in der Umsetzung auch immer wieder an unsere eigenen Grenzen, reproduzieren häufig das, was wir kritisieren und reiben uns am eigenen Anspruch. Unzählige Leute haben in den letzten 25 Jahren das Juzi im Frust verlassen. Sei es weil wichtige Diskussion nicht geführt wurden oder zu unerwünschten Ergebnissen kamen, sei es weil die Vorstellungen von Freiheit zu weit auseinander gingen und ein gemeinsames Handeln nicht mehr möglich erschien oder sei es das der Weg des Hauses nicht mehr der eigene war. Aber auch für neue Leute mit neuen Ideen ist ein Einstieg nicht immer leicht. Nicht selten entpuppen sich die am radikalsten und lautesten Vorgetragen Lösungsvorschläge der Alten bei genauerer Betrachtung als das konservative Festhalten an für aktuelle Problemlagen untauglichen Modellen von gestern. Was aber nicht heißen soll, dass jede Änderung positiv ist. Ein unter linksradikalen Vorzeichen erkämpfter Raum, bleibt nicht automatisch linksradikal und muss sich kontinuierlich dem Schlaflied der bürgerlichen Linken widersetzen, das mit dem Lohn der Bequemlichkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz nach Verrat der eigenen Ideale ruft.
Selbstbestimmte Freiräume wurden von den Herrschenden schon immer als gefährlich, widerständig und das System destabilisierend erkannt und sind seit ihrem bestehen staatlicher Repression ausgesetzt. Doch nur hier können wir erproben und ausprobieren, weiterentwickeln und Strategien entwerfen. Das hier erlebte kann Impuls für all jene sein, die nach Alternativen suchen – denn ohne Alternativen denken zu können, ist sozialer Wandel nicht möglich. Linke Freiräume sind deshalb Basis und grundlegende Struktur für unsere politischen Kämpfe um Emanzipation und eine bessere Welt für alle. Dass uns dieser Staat solche Räume weder schenkt noch freiwillig überlässt, bedeutet dass wir immer wieder um den Erhalt und Ausbau kämpfen müssen. Und so sind Freiräume nicht nur die Basis politischer, sondern zugleich auch Ergebnis erfolgreicher Kämpfe. Kämpfe die so schnell nicht abgeschlossen sind. Der Erhalt der Freiräume erfordert es immer wieder auf ein neues die Machtfrage zu stellen und sich entweder gegen offene Repression oder die schleichende Assimilation zur Wehr zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist das Aufgeben jeder und jedes einzelnen, so verständlich die individuellen Gründe auch sein mögen, immer auch das stückchenweise Scheitern der Suche nach neuen Ideen und Konzepten.
Wenn wir heute für den Erhalt und Ausbau von linken Projekten und Freiräumen auf die Straße gehen, dann geht es nicht allein um den Erhalt unserer eigenen Räume und Strukturen. Unser Kampf ist nur ein Teil des Widerstandes gegen die allgegenwärtige gesellschaftliche Normierung und staatliche Kontrolle. Wir sehen uns im Zusammenhang mit all jenen, die sich noch ein Leben außerhalb der vorgeschriebenen Uniformierung, der allgegenwertigen Kontrolle und kapitalistischer Verwertungslogik vorstellen können.
Revolution ist nichts was in ferner Zukunft passiert, sondern Revolution wird von uns jeden Tag ein bisschen gemacht. In unserem Leben, in unseren Herzen, mit unserem Handeln und der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem herrschenden System.
In diesem Sinne: Eine bessere Welt ist möglich, Linke Zentren verteidigen.